Hier ist die Saat gut
Die meisten wissen, wie ein wogendes Kornfeld aussieht. Viele können auch die grünen Blätter und weißen Blüten einer Kartoffelpflanze bestimmen. Aber wie sieht ein Feld mit Spinatsaat aus? Und kann Kresse wirklich fast einen Meter hoch werden?
Farbenfrohe Landschaft
Die Samsøer Landstraßen werden von einer Patchworkdecke aus kleinen, unterschiedlichen Feldern gesäumt. Einige sind purpurfarben, andere orange und wiederum andere dunkelgrün. Viele der Felder sind recht klein, was eine bildschöne und abwechslungsreiche Ackerlandschaft abgibt – zur Freude der Insulaner und der Urlaubsgäste.
Wer Samsø erkundet, wird wahrscheinlich auch Felder bemerken, die aussehen, als ob man sie schon vor langer Zeit hätte ernten sollen. Die Roten Bete haben Blüten angesetzt. Der Chinakohl sieht nicht mehr aus wie Chinakohl, sondern gleicht einem gelben Blumenfeld, und die Kresse reicht bis zu an die Knie.
Und all das aus gutem Grund. Mehrere der auf Samsø bewirtschafteten Flächen werden nicht des Anbaus wegen bepflanzt, sondern wegen Millionen winziger Samen, die aus ihnen entstehen, wenn die Pflanzen groß genug geworden sind und sie geerntet werden können.
Von Nørreskifte nach Mumbai
Dänemark zählt schon lange zu den weltweit führenden Produzenten von Saatgut, und in den Nachrichten erfahren wir ab und zu, wie dänische Grassaat in WM-Fußballstadien und auf namhafte Golfplätze in Dubai und Portugal gelangt ist. „In vielen anderen Ländern ist es zu warm, zu kalt, zu feucht oder zu trocken für die Saatzucht, aber in Dänemark ist das Verhältnis zwischen Sonne und Regen sehr ausgewogen. Damit eine Pflanze Früchte ansetzen kann, sind auch viele helle Stunden erforderlich, und die gibt es auf den dänischen Breitengraden. Auf Samsø sind die Bedingungen sogar noch etwas besser als andernorts im Land. Unsere vielen Sonnenstunden, die geringen Niederschlagsmengen und weitaus weniger Frosttage als im Landesdurchschnitt bieten optimale Bedingungen für die Saatzucht“, erläutert Henrik Øster, Vorsitzender des Samsøer Landwirtschaftsverbands.
Auf den Samsøer Feldern wird Saat für u. a. Chinakohl, Schwarzwurzel, Schnittlauch, Ringelblumen, Gras, Kresse, Chrysanthemen, Rote Bete, Sommerazaleen und Spinat angebaut, und die Saat wird weltweit vertrieben. „In Mumbai kann es passieren, dass Kindergartenkinder Kressesaat aus Onsbjerg Vestermark in die Erde streuen. Ebenso kann ein Landwirt in Thailand Pak Choi anbauen, dessen Saat aus Nørreskifte stammt. Das ist einfach fantastisch!”, freut sich Henrik Øster.
Nachbarschaftshilfe
Um gute Saat anzubauen, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. „Das Klima und die Bodenbeschaffenheit spielen natürlich eine entscheidende Rolle. Es ist aber ebenso wichtig, sich mit seinem eigenen Anbauplan
und dem der Nachbarn auszukennen. Diejenigen, die das Saatgut abnehmen und in alle Welt exportieren, haben sehr strenge Anforderungen in puncto Sauberkeit und Keimprozent, d. h. der prozentuale Anteil der Saat, die zum Keimen fähig ist. Deshalb können zwei unterschiedliche Spinatfelder nicht nah beieinander liegen, da so das Risiko einer Kreuzvermehrung und Vermischung besteht“, erklärt Jens Jakob Vohnsen.
Die Samsøer Landwirte helfen sich gerne gegenseitig. Nicht nur beim Erstellen der optimalsten Anbaupläne, sondern sie machen sich auch gerne nützlich. „Henrik hat beispielsweise ein besonderes Gerät für seinen Traktor entwickelt, mit dem er mit großer Präzision die männlichen Pflanzen abschneiden kann”, berichtet Jens Jakob Vohnsen und gibt das Wort an Henrik Bertelsen weiter: „Wir säen den Spinat in Reihen mit männlichen Pflanzen neben der Reihe mit den weiblichen Pflanzen – weitaus mehr weibliche als männliche. Wenn die Pflanzen groß geworden sind, bestäuben die männlichen Pflanzen die weiblichen, und danach ist die Zeit der männlichen Pflanzen vorbei. Wir schneiden sie ganz einfach ab und häckseln sie klein, damit sie nicht die Ernte verunreinigen können.“
Geerntet wird mit einem Mähdrescher, und die wertvolle Ernte wird eingelagert. „Wir haben natürlich getrennte Lager für die unterschiedlichen Sorten, damit die Saat nicht durcheinander gerät. Sollte das passieren, kaufen die Saatgutunternehmen die Saat nicht, was eine Katastrophe wäre. Deshalb achten wir auch sehr darauf, Schuhe und Ausrüstung zu wechseln, wenn wir von der einen Sorte zur nächsten gehen. Der Hund darf auch nicht mitkommen”, unterstreicht Jens Jakob Vohnsen, während er die rauhaarige Hündin Anna streichelt.
Im Lager wird die graue Spinatsaat mit angemessenen Mengen warmer und kalter Luft verwöhnt, während der Züchter gespannt auf die Antwort vom Saatgutunternehmen wartet. „Gleich nach der Ernte kommt eine Saatportion zum Saatgutunternehmen, das damit ein Stück in einem Treibhaus bepflanzt. Nach einigen Tagen ist die Spinatpflanze so groß, dass sie zum Gentest geschickt werden kann. Dort wird festgestellt, ob die Ernte sauber genug ist und ob der Keimprozent ausreichend hoch ist. Das Ergebnis ist von großer Bedeutung für den Jahresgewinn, und deshalb sind es einige sehr spannende Tage“, so Henrik Bertelsen.
Eine Million Kilometer
140 ha oder 196 Fußballplätze – so groß ist die Fläche, auf der auf Samsø Spinatsaat angebaut wird. In einem guten Jahr werden ca. 182.000 kg reine Spinatsaat ins Lager gefahren – eine Menge, die man sich nur schwer vorstellen kann. Noch unbegreiflicher ist, dass die vielen Kilos fast 14 Milliarden einzelnen Samen entsprechen!
Um es etwas anschaulicher zu machen, kann man sich vorstellen, dass wir alle 14 Milliarden Samen in einer langen Reihe mit einem Abstand von 7,5 cm einpflanzen. Die Reihe wird 1.050.000 Kilometer lang – oder spannt sich 26-mal um die Erde!
Die weitaus meiste Saat wird als Spinat für den so genannten Babyspinat angebaut. Das sind die jungen Blätter, die im Beutel abgepackt erhältlich sind und fix und fertig für den Salat sind.
Aber bevor die Blätter auf dem Teller landen, haben sie, wie eben beschrieben, schon eine lange Reise hinter sich!
Zuletzt geändert: 09/02/2021 14:18