Rote Wangen auf Samsø
Im Jahre 1879 machte der Kunstmaler und Dichter Holger Drachmann seine Hochzeitsreise mit seiner Emmy Culmsee auf die Insel Samsø. Ursprünglich war diese Reise nach Island geplant, doch aufgrund verschiedener Umstände landete das neuvermählte Paar stattdessen auf Samsø.
Drachmann war neben seiner Tätigkeit als Kunstmaler und Dichter auch Journalist und er schrieb mit Begeisterung viele Artikel über all das Schöne auf der Insel Samsø an seine Leser in der Hauptstadt Kopenhagen. Dies kann man sozusagen als die Geburtsstunde des Tourismus auf Samsø bezeichnen.
Herzlich willkommen
Die Bewohner von Samsø waren schon vor der Zeit Drachmanns für ihre große Gastlichkeit bekannt, welches eine Urlaubsbeschreibung aus dem Jahre 1873 bezeugt. Der Verfasser ist nicht namentlich bekannt, – ein Herr aus der Hauptstadt – der eine Einladung erhalten hatte:
„Sehr geehrter Herr X. Wenn Sie meinen, dass Sie einen Aufenthalt auf einer kleinen Insel aushalten können, wo die Zeitungen 3 – 4 Tage alt sind, bevor sie eintreffen und wo es keinen Tivoli oder sonstige Vergnügungseinrichtungen gibt, dann kommen Sie gerne in Ihrem Sommerurlaub zu mir. Das einzige, was ich Ihnen versprechen kann ist, dass Sie herzlich bei mir in Ihrem Urlaub willkommen sind und dass Sie nette und gastfreundliche Menschen hier treffen werden.“
Herr X bedankte sich und nach einer angenehmen Überfahrt mit dem Dampfschiff von Korsør und einer weniger angenehmen Anlandung (ein unangenehmer Balancegang an der Reling, ein „skandalöser“ Abstieg auf einer Hühnerleiter hinunter zum Ruderboot und einem verletzten Schienbein) konnte er endlich Samsø in Augenschein nehmen.
Gastlich und gesellschaftlich
Herr X verbrachte mehrere Tage auf der Insel und war besonders von der hübschen Landschaft, dem vorzüglichen Essen und den schönen Mädchen der Insel angetan. Ein Zitat: „Wir trafen viele Mädchen, die Arm in Arm miteinander spazierten und viele sahen sehr hübsch aus mit ihrer kleinen, goldbestickten Kopfbedeckung“ und Herr X fuhr fort: „Neben bester, privater Gastlichkeit auf Samsø habe ich eine auf hohem Niveau florierende Geselligkeit genossen, wovon ein Kopenhagener sich kaum einen Begriff machen kann.“
Heute haben die Kopenhagener gelernt, was Gastlichkeit auf Samsø bedeutet. Das hohe Serviceniveau und die Tradition hinsichtlich persönlicher Gastfreundschaft, wozu der Grundstein bereits vor über 100 Jahren gelegt wurde, zeigen sich u.a. bei den vielen Speisegaststätten und Unterkünften.
Rote Wangen
In der Zeit ab 1910 bis in die 1920iger Jahre nahm der Tourismus auf Samsø Fahrt auf. Strandvejen in Ballen wurde das elegante touristische Zentrum der Insel. Mehrere Pensionen wurden errichtet und viele Inselbewohner vermieteten ihre Häuser den Sommer über während sie selbst in Nebengebäude u.Ä. umzogen.
Die Badepensionen wie „Glimt“, „Strandlyst“ und „Samsø Bad“ hatten prominente Besucher, die von den großen Städten des Landes angelockt, mehrmals mehrere Wochen lang Urlaub machten. Hier konnten Sie die frische Meeresluft, die gute Kost und auch eine Menge Unterhaltung mit einigen Schnäpschen genießen.
Die wohl bekannteste Gastwirtin aus dieser Zeit ist Anna Wiberg. Frau Wiberg, die selbst aus Kopenhagen stammte, mietete Anfang der 1920iger Jahre eine ehemalige Maschinenhalle aus Holz auf Samsø – der Ort, an dem heute „Strandlyst“ liegt. „Mir kam die Idee, dass Samsø vielleicht der Ort war, an dem die Kopenhagener wieder rote Wangen bekommen könnten,“ schrieb Frau Wiberg in einem Artikel 1943.
Im ersten Jahr mangelte es an Komfort. Die Gäste wurden de facto in naheliegenden Bauernhöfen und Häusern untergebracht, da noch keine Zimmer, sondern nur ein Speisesaal in dem neuen Etablissement vorhanden waren. „Ich wusste, dass das Essen, das ich ihnen gab, gut und reichlich war, aber in Bezug auf die anderen Bequemlichkeiten lag noch einiges im Argen. Nach Einbruch der Dunkelheit hatten die Gäste nur Kerzenlicht und einige wenige waren mit einer Waschkommode begünstigt, die anderen mussten sich mit einer Waschschüssel auf einem Stuhl begnügen“, erinnerte Frau Wiberg sich.
Doch die Gäste kamen wieder und brachten weitere mit. Nach 10 Jahren, 1931, konnte Frau Wiberg „Samsø Bad“ bauen, das gelbe Gebäude am Strandvejen, das jetzt „Walters Hvile“ heißt. Das Gasthaus wurde schnell so beliebt, dass sie es mit drei Nebengebäuden erweitern musste.
Bezüglich der Bedeutung der Gastlichkeit erklärte Frau Wiberg: „Leute fühlen sich nur wohl an einem Ort, wo sie deutlich spüren, dass sie nicht ausschließlich ein Verdienstobjekt sind, sondern Freunde, denen man gerne etwas Gutes bieten möchte. Deshalb glaube ich, dass die Mühe sich gelohnt hat, wenngleich ich 23 Jahre lang keinen Urlaub gehabt habe. Ich habe frohe Menschen um mich herum gehabt und habe gesehen, wie sie nach einem anstrengenden Winter wieder aufleben und Jahr für Jahr wiederkommen. Ich habe sie schwärmen und sich verlieben gesehen – ach ja, ich bin Menschenkennerin geworden“.
Ein Badehotel in Brundby
In einer Broschüre im Anfang der 1930iger Jahre empfiehlt ein anderes Hotel der Insel sich u.a. mit „landesbekannter Küche“, „Dänemarks beste Betten (Gardebetten)“, „eisgekühlter Schnaps aus eigener Gefrieranlage“ und „Jeden Dienstag Kopenhagener Abend“. Das Hotel hieß damals „Brundby Badehotel“, obwohl der nächste Badestrand fast 2,5 km entfernt ist. Heute ist das Hotel im ganzen Land als Dänemarks einziges Rockhotel bekannt.
Hans Lindegaard, der Besitzer des Hotels im Zeitraum 1889-1932, war ein Genussmensch, der gut für seine Gäste sorgte. Er saß oft mit seinen Gästen zusammen am Tisch und zerlegte mit seinem Tranchierbesteck sein Lieblingsgericht – gegrillter Lammkopf mit Spinat. Es fehlte an nichts, was ein Vers aus dieser Zeit besagt:
Ein erstklassiges Getränk man bekommt,
man beginnt mit einem, und setzt fort,
das werden Sie sicherlich bemerken
Auf Expedition
Die Bade- und Landgäste aus dieser Zeit sollten natürlich auch während ihrem Aufenthalt einiges auf Samsø erleben. Mehrere Hotels hatten Ausflüge mit Pferdekutsche oder Auto im Angebot. In Lindegaards Broschüre wurde den Hotelgästen empfohlen „Fahrrad oder Auto mitbringen, denn die Straßen sind hervorragend“.
Kam man mit dem Dampfer entweder von Jütland oder Seeland nach Kolby Kaas, konnte man damals auf den geschäftstüchtigen Fuhrunternehmer Vilhelm Petersen treffen, der Inselrundfahrten in einem bejahrten Bus anbot. Ein Tourist aus Kopenhagen wandte sich an den Fuhrunternehmer und fragte mit gerümpfter Nase: „Was kostet es in so einem Mistwagen herumkutschiert zu werden?“ worauf der Fuhrunternehmer Petersen schlagfertig antwortete: „Es kommt wahrhaft darauf an, wie weit der Mist gefahren werden soll!“ Ja, selbst Gastlichkeit kennt Grenzen!
Auf Samsø gibt es mehr als 50 Unterkünftsmöglichkeiten – alles von Schutzunterständen und Hütten bis schönen Hotelzimmern und Ferienhäusern.
Weitere Informationen über Unterkunftsmöglichkeiten finden Sie hier und im Miniführer „Schön wohnen auf Samsø“
Zuletzt geändert: 11/08/2020 15:43